Die Bildungschancen von Migrantenkindern in der Schweiz sind in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund diskutiert worden. Die im Vergleich zu einheimischen Kindern oftmals schlechteren Bildungsergebnisse von Migrantenkindern belegen die sozial- und bildungspolitische Relevanz ungleicher Bildungschancen im Schweizer Schulsystem, wenn die individuelle Leistung in Rechnung gestellt wird. Der Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe I ist dabei bezüglich sozialer Selektivität des Bildungssystems besonders bedeutsam. Hierbei sind viele Migrantengruppen in Bezug auf Bildungschancen und den späteren Bildungserfolg im Nachteil gegenüber Einheimischen.
Fragestellung: Der Bildungserfolg von Migrantenkindern ist nicht nur von persönlichen Merkmalen und ihrer effektiven Leistungsfähigkeit und -entwicklung abhängig, sondern neben den Ressourcen des Elternhauses auch von der Leistungsbeurteilung durch die Schule und den Selektionsentscheidungen. Die Anteile des Beitrags schulischer Merkmale und des Zusammenspiels von familiären und individuellen Merkmalen an der Bildungsungleichheit sind für Migranten weitgehend ungeklärt. In der Untersuchung geht es darum, in Unterscheidung von individuellen bzw. familiären Ressourcen in Form von ökonomischem, kulturellen und sozialen Kapital (Schülermerkmale, individueller Kontext in der Familie, Einbindung in soziale Netzwerke), dem Unterrichtsangebot, dessen Nutzung und Merkmalen der Schulklassen die Wirkungen auf Noten und Übergangsempfehlung in die Sekundarstufe zu erklären. Zu prüfen gilt es insbesondere, welche Rolle askriptive Merkmale sowie soziale Kontextfaktoren für die Übertrittsempfehlung und für die Genese von Bildungsungleichheiten zwischen Migrantenkindern und Einheimischen bzw. zwischen den verschiedenen sozialen Schichten spielen.
Theoretische Grundlage: Im Anschluss an eine strukturell-individualistische Perspektive und ein den Mehrebenencharakter des Bildungssystems berücksichtigendes Angebot-Nutzungs-Modell des Schulerfolges wird davon ausgegangen, dass sozial ungleiche Bildungschancen aggregierte Ergebnisse sozial bestimmter Bildungsvorstellungen im Elternhaus (und ihres sozialen Umfeldes) und herkunftsabhängiger Leistungsvoraussetzungen sowie schulischer Prozesse des Übergangs von der Primarschule in die weiterführenden Schullaufbahnen in der Sekundarstufe I sind. Das Zusammenspiel dieser Prozesse und Mechanismen auf unterschiedlichen Ebenen gerät zum Nachteil vieler unterschiedlicher Gruppen unter den Migranten im Schweizer Bildungssystem.
Methodisches Vorgehen: Mittels eines Paneldesigns mit zwei Wellen sollen vor und nach dem Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I die Eltern und ihre Kinder, die Klassenlehrer der Schülerinnen und Schüler sowie Schulleiter befragt werden, um die Formierung von Bildungsvorstellungen im Familienkontext durch Eltern, der Bildungsempfehlungen der Lehrpersonen sowie leistungs- und beurteilungsrelevante Prozesse in Schule und Familie nachzeichnen zu können. In einem Mehrebenen- und Paneldesign werden die einzelnen ursächlichen Faktoren auf den unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen (Individuum, Familie, Nachbarschaft, Schule, Region) systematisch miteinander in Verbindung gebracht.
Bedeutung für Schule und Bildung: Ohne empirisch fundierte Erkenntnisse über Ursachen und Mechanismen der sozialen Ungleichheiten von Bildungschancen in und außerhalb des Bildungssystems können keine sinnvollen bildungs- und schulpolitischen Maßnahmen und Programme entwickelt werden. Für eine aktive Steuerung des Bildungssystems müssen wir wissen, wie und warum dauerhafte Bildungsungleichheiten zu Ungunsten von Migranten oder Kindern aus unteren Sozialschichten zustande kommen. Erst dann können nachhaltige Empfehlungen für Akteure in der Bildungspolitik, die Schulen und ihre Lehrer sowie für die Gestaltung der Lehrerbildung entwickelt werden.
Das Projekt wurde durch den Schweizerischen Nationalfond (SNF) unter dem SNF-Az: 100015-121610/1 zunächst für eine Laufzeit von 24 Monaten mit einem Forschungsbeitrag von rund 216.000 SFr. gefördert, und danach für weitere 6 Monate mit 105.000 CHF (Az.: 100013-131968/1). Leiter des Projektes war Prof. Dr. Rolf Becker. Mitarbeiter war Dr. Michael Beck.